Dr. Engels: Regional am erfolgreichsten etabliert mit guten Zukunftsaussichten für Chiemgauer
Traunstein. Der Chiemgauer ist das regional am erfolgreichsten etablierte Regionalgeld mit besten Zukunftsaussichten, wenn er eingebettet ist in eine abendländisch-christliche Grundhaltung des Wirtschaftens. Diese Ansicht vertrat der Bildungsbeauftragte des Bistums Mainz, Dr. Johannes Engels, gestern (am Dienstag, 8. Juli 2008) vor 80 Zuhörern im Großen Rathaussaal. Er unterstrich, dass regionale Finanzsysteme durchaus einen Beitrag zu Stabilität und Wohlstand leisten können. Der föderale Aufbau Deutschlands sei ebenso gut für regionales Wirtschaften wie die lebendige 3-Säulen-Bankenstruktur. Dr. Engels ist Mitarbeiter der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht.
In seinem Vortrag „Welchen Beitrag leisten junge regionale Finanzsysteme zu Stabilität und Wohlstand in der Region - gerade angesichts der zunehmenden Globalisierung" stellte Dr. Engels detailliert die Regiogeld-Entwicklung dar. Neben einem kurzen Blick auf Silvio Gesell, der die geistige Grundlage für das „natürliche Geld" legte, zeigte der Bankenexperte anhand des LPG-Geldes der DDR auf, welche Effekte ein Alternativgeld auslösen kann. Anschließend wurden die unterschiedlichen Regiogeld-Typen vorgestellt und ein Überblick über den aktuellen Stand der rund 24 Initiativen in Deutschland gegeben.
Passt gut zusammen: Region stärken
Der stellvertretende Landrat Josef Konhäuser gestand ein, dass er bis vor kurzen „nicht so gut über den Chiemgauer informiert und etwas skeptisch war". Inzwischen habe er allerdings eine positivere Einstellung zum Chiemgauer gewonnen, da er die Region stärke und eine soziale Komponente besitze, indem er Vereine vor Ort unterstützt. Der Chiemgauer verfolge ähnliche Ziele wie der Landkreis und trage dem Ziel der Agenda 21 Rechnung. „Da passen wir gut zusammen", sagte Konhäuser. Es gehe um einen vernünftigen Ausgleich zwischen regionalem Handeln und globalen Denken. Man dürfe nicht nur global Handeln und global Denken, wie es in den Köpfen vieler sei.
Fragen über Fragen werfe das interessante Thema auf, so Traunsteins Dritte Bürgermeisterin Waltraud Wiesholer-Niederlöhner in ihrem Grußwort. Gerade mit Blick auf die ökologische Tragfähigkeit der Region und der Schärfung des Bewusstseins sei es wichtig, sich mit regionalen Finanzsystemen wie dem Chiemgauer zu beschäftigen. Eine Forderung, die Traunsteins Chiemgauer-Regionalbüroleiter, Christophe Levannier unterschrieb. Levannier freute sich überdies, führende Vertreter der Raiffeisenbank Oberbayern Südost, der Kreissparkasse Traunstein, der Raiffeisenbank Rosenheim/Chiemsee sowie Kommunalpolitiker aus Stadt und Umland begrüßen zu dürfen.
Sparkassen und Genossenschaftsbanken sind am Kunden dran
Nach Meinung von Dr. Engels gibt es mit 2.200 Kreditinstituten und 40.000 Filialen nicht zu viele Banken in Deutschland, wie es viele EU-Partner kritisieren. Vielmehr führe dies zu einem marktoptimalen Verhalten mit Kostenvorteilen für Kunden. Dies drückt sich umgekehrt in der Rendite des eingesetzten Kapital aus: mit 11 % verdienen die Banken in Deutschland am wenigsten, wohingegen in Frankreich 16 % und in Großbritannien aufgrund der hohen Bankenzentralisierung 19 % erwirtschaftet werden.
Die Tatsache, dass die 40 Prozent der wirtschaflichen Leistungskraft in Deutschland von klein- und mittelständischen Unternehmen erbracht wird, die 70 Prozent aller Arbeitnehmer beschäftigen, passt gut zu der Bankenstruktur. Auf Nachfrage der Redaktion erläuterte Dr. Engels den Begriff »Klein- und Mittelunternehmen« (KMU) wie folgt: zu den Kleinunternehmen zählen nach gegenwärtiger Lesart Firmen, die bis zu 9 Mitarbeiter beschäftigen und deren Jahresumsatz unter einer Million Euro liegt. Mittelunternehmen sind Firmen, die zwischen 10 und 49 Personen beschäftigen und deren Jahresumsatz sich zwischeneiner und fünfzig Millionen bewegt. Natürlich gäbe es dabei auch Grenzfälle, wo diese Werte sich überschneiden können, etwa in der Form, dass ein Unternehmen zwölf Mitarbeiter beschäftigt, aber einen Umsatz von weniger als eiern Million Euro erwirtschaftet oder umgekehrt.
Die drei Säulen bilden zu 48 % Sparkassen und Landesbanken, 15 % Genossenschaftsbanken und 37 % Privatbanken. „Diese gewachsene Struktur und die Universalbankentradition hat sich bewährt", sagte Dr. Engels, denn Sie führe zu Nähe zum Bankkunden - sowohl dem Unternehmer wie dem Verbraucher.
LPG-Geld brachte wirtschaftliche Dynamik
Welche wirtschaftliche Dynamik durch Alternativ-Geld entstehen kann, zeigt der Finanzexperte am Beispiel der DDR. Angesichts der Probleme der zentralen Planwirtschaft wurde unter Walter Ulbricht das LPG-Geld von 1963 bis 1970 eingeführt und als Betriebsgeld von den Landwirtschaftlichen Produktionsgesellschaften (LPG) verwendet, zu einer Zeit als es in der DDR kaum noch private Bauernhöfe gab. Anfänglich nur zur innerbetrieblichen Verrechnung gedacht, konnten damit die Genossenschaften eigenes „Geld" herausgeben mit dem Ziel, Eigeninitiative zu fördern. Schnell dehnte sich das LPG-Geld auch außerhalb der Genossenschaften aus. Es trug wesentlich zum wirtschaftlichen Aufschwung bei, bis die Wirtschaftspolitik Walter Ulbrichts von seinem Nachfolger Erich Honecker abgewürgt wurde. Dies und externe Faktoren wie die Ölkrise hätten den wirtschaftlichen Abschwung der DDR bis hin zur endgültigen Auflösung bewirkt, so Engels.
Geld hat dem Menschen zu dienen, nicht umgekehrt
Eine geistige Wurzel findet die Regionalgeld-Bewegung in Silvio Gesell (1862 - 1930), der versuchte, eine Wirtschaftsordnung ohne störende Konjunkturschwankungen zu entwickeln. Geld sei deshalb natürlichen Dingen nachzuformen, die vergänglich sind, die man nicht horten oder dem Wirtschaftskreislauf entziehen kann. Engels betonte, dass man Gesell keinesfalls in eine „rote oder braune" Ecke stellen dürfe. „Es ging ihm um einen konstruktiven Ansatz für ein soziales Miteinander und eine funktionierenden Wirtschaft" sagte Engels, „denn Gesell vertrat die Ansicht, das Geld habe dem Menschen zu dienen und nicht umgekehrt".
Vom Knochengeld zum Chiemgauer
Eine prägnante Darstellung auf das Regionalgeld unserer Tage begann Dr. Engels mit dem in Berlin Kreuzberg entstandenen „Knochengeld", das für kurze Zeit in Umlauf war. Die Scheine waren so begehrt, dass sie nicht mehr zurückgetauscht wurden. Der Gegenwert kam Kindergärten und Bibliotheken zugute. Dr. Engels stellte die unterschiedlichen Geldschein-Typen vor: Markengeld (wie der Chiemgauer), Tabellen- und Zeitgeld. Allen diesen Scheinen ist gemeinsam, dass sie in gewissen Zeitabständen weitergegeben werden müssen, sollen die Scheine keinen Wertverlust haben. „Das hat allerdings überhaupt nichts mit Schwundgeld zu tun". Dies gelte möglicherweise mehr für staatliches Geld angesichts vielfältiger Risiken und großer Hebelwirkungen von Hedgefonds.
Seine Worte rundete der Rheinländer Dr. Johannes Engels mit einem Blick auf die größten Schwierigkeiten von Regionalgeld-Initiativen ab: „Es entspricht ganz dem negativen Zeitgeist, dass oft Menschen fehlen, die sich nachhaltig mit ihrem Können, Kraft und Zeit einbringen und den Bekanntheitsgrad des Regionalgelds in ihrer Heimat ankurbeln". Ein Gegenbeispiel liefert der Chiemgauer. Er lebt im fünften Jahr ebenso lebendig und verteilt die Arbeit auf immer mehr Schultern.
In der Fragerunde war nicht nur Dr. Engels als BaFin-Mitarbeiter gefragt. Fragen zur Sicherheit des Chiemgauer beantwortete Chiemgauer-Chef Christian Gelleri und zu den Möglichkeiten einer Kreditvergabe mit Chiemgauer sprach Chiemgauer-Vorstand Marc Berghaus. Aufmerksame Zuhörer war die Haut-Volée der deutschen Regionalgeldbewegung Frank Jansky und Franz Galler.