Das Wunder von Wörgl
Anfang der dreißiger Jahre wurde das damals 4.200 Einwohner zählende Wörgl in Tirol wie so viele andere Gemeinden von der Weltwirtschaftskrise hart getroffen.
Viele der ortsansässigen Firmen stellten die Produktion weitgehend ein und entließen Beschäftigte. 400 Arbeitslose zählte Wörgl im Frühjahr 1932, davon 200 „Ausgesteuerte", die auf die Armenfürsorge/Suppenküche etc. der Gemeinde angewiesen waren. Die Geschäfte verzeichneten schwere Umsatzrückgänge, die Steuereinnahmen der Gemeinde gingen rapide zurück. Dringend anstehende Aufgaben konnten nicht bewältigt werden, weil das Geld fehlte.
Nothilfeprogramm Frei-Geld
In dieser katastrophalen Lage legte Bürgermeister Michael Unterguggenberger am 5. Juli 1932 ein „Nothilfe-Programm" vor:
„Langsamer Geldumlauf bewirkt Warenstauung und Arbeitslosigkeit. Das träge und langsam umlaufende Geld der Nationalbank muss im Bereich der Gemeinde Wörgl durch ein Umlaufmittel ersetzt werden, welches seiner Bestimmung als Tauschmittel besser nachkommen wird als das übliche Geld. Es sollen „Arbeitsbestätigungen" (...) ausgegeben und in Umlauf gesetzt werden (...). Um das wirtschaftliche Leben in der Gemeinde wieder aufwärts zu bringen, sollen nach einem Plane öffentliche Arbeiten damit durchgeführt und bezahlt werden". Drei Tage später stimmte der Gemeinderat dem Vorschlag Unter-guggenbergers zu.
Darauf zielte das Wörgler Notprogramm ab: die Errichtung einer örtlichen Ergänzungs-Ökonomie durch Ausgabe von Schwundgeld, auch „Freigeld" oder „neutrales Geld" genannt, kombiniert mit öffentlichem Beschäftigungsprogramm.
Die Gemeinde Wörgl ließ für 32.000 Schilling „Arbeitsbestätigungs-Scheine" drucken (siehe Foto), die im Gemeindeamt gekauft und bei der örtlichen Bank (gegen eine Umtauschgebühr von zwei Prozent) bei Bedarf in Schilling zurückgetauscht werden konnten.
Außerdem wurde den Gemeindearbeitern ein Teil ihres Lohns in der Wörgl-Währung ausgezahlt. Dass dieses nur dazu da war, ausgegeben zu werden, sah jeder auf den ersten Blick: Am Beginn jeden Monats war das Lokalgeld mit einer Klebemarke in Höhe von einem Prozent des Nennwerts der Note freizumachen - besser kam, wer es vorher ausgab. Der Erlös aus dem Markenverkauf wurde dem Armenfonds zugeführt.
Wirtschaftsaufschwung in Wörgl
Rasch setzte in der Gemeinde ein Wirtschaftsaufschwung ein: Während die Arbeitslosigkeit in Österreich in der Zeit von August 1932 bis August 1933 um 20 Prozent anstieg, sank sie in Wörgl um 25 Prozent! Die Steuerrückstände der Einwohner gingen im Jahre 1932 um 67 Prozent zurück!
Mit dem „Freigeld" wurden umfangreiche öffentliche Straßenrenovierungs- und Instandhaltungsarbeiten samt dem Bau einer neuen Skisprungschanze (!) finanziert, und zahlreichen Wörglern Arbeit, Lohn und Brot gegeben.
Besucher aus vielen Ländern reisten nach Tirol, unter ihnen Frankreichs späterer Ministerpräsident Eduard Daladier. Die internationale Presse berichtete.
Wörgler Freigeld fand Nachahmer
In ganz Österreich begannen andere Gemeinden, es den Wörglern nachzutun. Im Januar 1933 wurden in der 3.000 Einwohner zählenden Nachbargemeinde Kirchbichl ebenfalls Arbeitsbestätigungsscheine in Umlauf gesetzt. In den folgenden Monaten trafen rund 200 Gemeinden in Österreich Anstalten, eigene Zweitwährungen herauszugeben.
Die Österreichische Notenbank verbot im August 1933 die Arbeitsbestätigungs-Scheine. Demokratie „von unten" hatte nicht viel Platz in den Wirren der damaligen Zeit...
Mehr Infos zum Freigeld Wörgl finden sich auf der Internetseite des Unterguggenberger-Instituts.