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Buchvorstellung »Der Geldkomplex«
Das Buch »Der Geldkomplex« ist ein Sammelband von Abhandlungen, die sich mit den Schwächen des gegenwärtigen Geld- und Wirtschaftssystems auseinandersetzen. Doch bleibt der Band nicht bei der Kritik stehen, sondern zeigt eine Reihe von Lösungsmöglichkeiten und Beispiele ihrer Umsetzung in der Praxis. Einer der Autoren ist unseren Lesern wohlbekannt: Christian Gelleri, Gründer und geschäftsführender Vorstand des Chiemgauer.
Es ist ein Buch von und für experimentierfreudige Agenten des Wandels.
Kritische Reflexion unseres Geldsystems und mögliche Zukunftsszenarien. St. Galler Beiträge zur Wirtschaftsethik, Band 41 von Mathias Weis, Heiko Spitzeck (Hrsg.) Haupt 2008, 270 Seiten, 28 Euro
Haupt. Ein Sammelband hat Vorteile. Einer davon: Unterschiedliche Autoren, hier sind es 14, beleuchten aus unterschiedlichen Blickwinkeln ein Thema. Am Ende steht dann ein relativ guter Einblick in eine komplizierte Frage: Geldpolitik. Damit verbunden begibt sich der Leser auf Suchen nach Antworten: Wie kommen wir zu einer sinnvollen Wirtschaftsweise?
Das Buch ist Anlass bedingt: die große Wirtschafts- und Finanzkrise. In ihrer Thematik hat die oikos-Konferenz 2006 die Krise vor drei Jahren vorweggenommen, bevor es Thema in aller Munde wurde.
Oikos ist eine internationale Studentenorganisation, die vor 22 Jahren an der Uni von St. Gallen in der Schweiz ihren Anfang genommen hat. Oikos will das Bewusstsein für das Prinzip »Nachhaltigkeit« fördern und Anstoß geben für zukunftsweisende Alternativen. Das tut auch der Sammelband.
Die Essenz der Beurteilung des gegenwärtigen Wirtschaftssystems: Es sei blind für die wahren Probleme der Menschen. Kennzeichnet seien ein krankhaftes Wachstumsdenken und ein Realitätsverlust. Es ist die Rede von der Unfähigkeit, praktische Probleme zu lösen, vom Ungleichgewicht von Güter- und Kapitalströmen, von Spekulanten und Risiken. Dinge, die auf erschreckende Weise seit dem Erscheinen des Buchs Wirklichkeiten geworden sind.
Ziellos dreht sich das System nur noch um sich selbst, blind für die eigentlichen Probleme der Menschen. Seine Symptome sind:
Das Buch gliedert sich in vier Bereiche:
- Was sind die Schwächen und Gefahren des Systems?
- Wie könnten andere Systeme aussehen?
- Einzelne Ansätze praktischer Natur
- Wie der Weg in die Zukunft gegangen wird
Schwächen und Gefahren des gegenwärtigen Geld- und Wirtschaftssystems
Auf historischen Pfaden zum goldgierigen König Midas und zurück kommt Hans-Christoph Binswanger zur Erkenntnis, dass die heutige Wirtschaft kein Kreislauf mehr sei. Stattdessen werde sie kennzeichnet durch eine Spirale wachsender Leistungs- und Geldströme. Angetrieben Rentabilitätsansprüche des Kapitals.
Die beiden Herausgeber hinterfragen und klagen an. Dabei kommt das gegenwärtige System nicht gut weg. Etwa sei das Bruttoinlandsprodukt (BIP) als rein ökonomischer Maßstab absurd. So liegt Chinas BIP-Wachstum (des BIP) bei 10 bis 12 Prozent, die Umweltschäden aber bei 8 bis 13 Prozent. Genau betrachtet wachse die chinesische Wirtschaft also gar nicht. Man müsse dringend auf mehrdimensionale Wohlstandsindikatoren zugreifen.
Die berechtigte Kritik des Geldwesens folgt in etwa den Gedanken Gesells. Auch erfreulich ist die Forderung nach Offenheit für Experimente.
In einem ausgezeichneten Aufsatz zeigt Elisabeth Allgoewer die enge Verflechtung zwischen Wirtschaftsgeschichte, Theoriegeschichte und den Institutionen.
Das wird beispielhaft dargestellt an der »Großen Depression« anfangs der 1930er Jahre, die bekanntlich durch das Festhalten an der Institution Goldwährung unverantwortlich verlängert wurde, insbesondere auch in der Schweiz.
Prabhu Guptara (Direktor am Wolfsberg Zentrum der UBS) stellt systematisch die Folgen eines auf Zins beruhenden Weltwirtschaftssystems dar, offenbar angeregt durch die Margrit Kennedy.
3.000 Jahre religiös begründete Zinskritik: Juden, Christen und Muslime waren bzw. sind zum Teil noch immer gegen Zinsen, von Roland Geitmann thematisiert.
Mögliche Lösungsansätze
Unter dem Titel »Marktwirtschaft ohne Kapitalismus« beschreibt Werner Onken, Chefredaktor der Zeitschrift für Sozialökonomie und Herausgeber der gesammelten Werke in 18 Bänden von Silvio Gesell, in fabelhafter Weise die Boden- und Geldreform, ihre ideengeschichtliche Herkunft und ihren derzeitigen Entwicklungsstand. Letzterer beinhaltet auch Öffnung für ökologische Steuersysteme, Regionalgeld, usw. Im Hinblick auf die Geldreform werde auch diskutiert, dass die Finanzspekulation vermutlich eine bedeutendere Form der Geldhortung sei als die klassische. Die Verbindung mit der Tobinsteuer würde hier Entlastungen bringen.
Bernard Lietaer beschreibt das Konzept einer Welt-Komplementärwährung »Terra«, die gedeckt wäre durch die zwölf Güter eines Warenkorbes. Eine praktische Umsetzung dürfte noch ziemlich viel Zeit und politische Energie beanspruchen.
Den größten Markt der Welt nimmt sich Peter Wahl vor: den Devisenmarkt. 80 Prozent des Tagesumsatzes von etwa 2.000 Milliarden US-Dollar sind seiner Meinung nach reine Geldmostereien, die immer wieder Währungen ins Trudeln bringen. Solches Tun müsse man stören, mit der sogenannten Tobinsteuer, einer Gebühr für Finanzgeschäfte an der Börse. Wahl beschreibt, wie sie funktionieren könnte.
Förderung der Regionalentwicklung
Christian Gelleri zeigt am Erfolgsbeispiel des Chiemgauer, wie Regiogeld funktioniert und wie damit lokale Kreisläufe wieder belebt werden können. Die Produktion soll so wieder näher zu den Menschen kommen, was die Transportwege verkürzt. Beim Chiemgauer handelt es sich um ein ökonomisches Experiment, das längerfristig ordnungspolitisch von Bedeutung sein könnte.
Gernot Schmidt untersucht die sich negativ verändernde Rolle der Regionalbanken. In Deutschland sind das die ursprünglich genossenschaftlichen Volksbanken und die Sparkassen, die früher das Ziel verfolgten, die Region mit günstigen Finanzdienstleistungen zu versorgen. Heute würden sie wie die Großen nur dem Gewinn nachrennen. Eine Re-Regionalisierung sei eine ordnungspolitisch dringende Forderung an die Politik.
Hugo Godschalk behandelt das volkswirtschaftliche Potenzial der Regiogeldbewegung. Wie beim Chiemgauer bereits jetzt der Fall müsse, vermehrt auch Giralgeld ausgegeben werden als Bankgeschäft, aber unabhängig von der Zentralbank. Wichtig sind wohlüberlegte Experimente mit Qualitätsdienstleistungen.
Bernhard Lietaer berichtet über die rund 600 Komplementärwährungssysteme in Japan, von ihrer Vielfalt und den zahlreichen Publikationen darüber.
Auf dem Weg zu einem lebensdienlichen Wirtschafts- und Geldsystem
In einem Interview mit Falk Zientz von der GLS-Bank wird dargestellt, wie eine nicht profitorientierte und genossenschaftlich organisierte Bank gesellschaftlich einiges bewegen kann. Methoden, Projekte und Kompetenzen sind vielfältig: Da gibt es einen Förderkreis eines Behindertenheimes ohne Eigenkapital. Das wird erstellt durch eine Gemeinschaftsfinanzierung (jeder spart 40 Euro/Monat) plus Kredit – und das Projekt läuft.
Auch ein Mikrofinanzsektor wird aufgebaut (gemäß Modell Mohammed Yunus in Bangladesch). Oder: In Freiburg sollen stadteigene Wohnungen in ein genossenschaftliches Modell eingebracht werden, mit Beteiligung der Mieter um der Privatisierung entgegenzuwirken und die Stadtplanung zu verbessern.
Gerhard Rösl gibt noch einen kurzen Überblick über die Regionalwährungen im deutschsprachigen Raum und gibt dann eine etwas diffuse Kritik an der Gesellschen Geldreform, in einem eher neoklassisch zu nennenden Tonfall. Vermutlich hat er den oben genannten Aufsatz von Werner Onken nicht sehr gründlich gelesen.
Zum Schluss werden von den Herausgebern die Gebirge von Schwierigkeiten angedeutet, die es bei der notwendigen Neugestaltung des Wirtschafts- und Geldsystems zu überwinden gelte.
Es ist ein Buch von und für experimentierfreudige Agenten des Wandels.
Kritische Reflexion unseres Geldsystems und mögliche Zukunftsszenarien. St. Galler Beiträge zur Wirtschaftsethik, Band 41 von Mathias Weis, Heiko Spitzeck (Hrsg.) Haupt 2008, 270 Seiten, 28 Euro